Mittwoch, 19. Februar 2003

Das zweite Leben

 

Mit nur einer Hand nimmt der Wittenbacher
Niklaus Manser das Leben erst recht in beide Hände

 

 

Nach einem schweren Unfall während der Lehrlingszeit und langer Rehabilitation lebt der Wittenbacher Niklaus Manser heute in Andwil selbständig - und vermittelt Schneeschuhe.

  Suzana Cubranovic

Es war neblig an jenem Spätherbstmorgen und er hatte es wohl etwas eilig, wie seine Mutter später bemerkte. Niklaus Manser war auf dem Weg zur Berufsschule in Weinfelden, als er in einer Kurve die Beherrschung über die «Kawasaki» verlor und gegen einen Baum prallte. Schwer verletzt blieb er liegen. Ein Rettungshubschrauber brachte den bewusstlosen Achtzehnjährigen ins Kantonsspital St. Gallen: Schädel-Hirn-Trauma, Quetschungen auf der Lunge, rechter Arm gelähmt.Es war am 25. Oktober 1990.

Selbständig

Im letzten Sommer ist der heute 31-jährige Niklaus Manser aus dem Wittenbacher Elternhaus in der Dürrenmüli ausgezogen, wohnt nun allein in einer modernen Dreieinhalb-Zimmer-Wohnung in Andwil SG. Weisse Bodenplatten, weisse Wände, eine grosse Fensterfront und der Schnee draussen verleihen der Wohnung Helligkeit. «D'Milch hol i grad do obe i dä Molki, d'Poscht isch au i dä Nööchi und me kennt sich do guet», erzählt der junge Mann mit der Brille und dem schütteren Haar. «Da arbeite ich jeden Mittwoch», erklärt Niklaus Manser und zeigt durch die Balkontüre zum Geschäft auf der gegenüberliegenden Strassenseite zum Land­maschinen-Sutter. Dort arbeitet er einen Tag in der Woche als Bürokraft.

Das Kurzzeitgedächtnis

Sogleich geht er ins andere Zimmer und zeigt am Computer, wie er mit einer Hand das Fünffingersystem beherrscht. Ohne auf die Tasten zu schauen, tippt er flink einige Worte. «Ich bringe es auf 160 Anschläge in der Minute», erklärt er nicht ohne Stolz. Seine Lehre als Motorradmechaniker konnte er nach dem Unfall nicht mehr beenden, so liess er sich umschulen und absolvierte eine Bürolehre. «Ich ging mit den Nichtbehinderten in die Berufsschule», erzählt er. Aus der Schreibtisch­schublade nimmt Niklaus Manser ein kleines Heft, in welchem er jeden einzelnen Arbeitsschritt notiert hat, den er im Geschäft zu erledigen hat. Sein Kurzzeitgedächtnis ist seit dem Unfall geschwächt.

Voller Terminkalender

«Ich muss alles aufschreiben, damit ich es nicht vergesse. Einen Knoten kann  ich  ja  nicht  machen»,

 

 

witzelt er und blickt dabei auf seinen beweglosen rechten Arm. - Nach der Lehre arbeitete Manser temporär in verschiedenen Geschäften, unternahm Reisen (mit dem GA) und half auf dem elterlichen Bauernhof soweit mit, wie er das mit einer Hand konnte. In seiner Freizeit ist Niklaus Manser viel unterwegs. Am Dienstag­nach­mittag geht er ins Altersheim, um Schach zu spielen, am Mittwoch nach der Arbeit zum Fussball, am Donnerstag zum Volleyball, am Freitag ist Stamm mit Kollegen, von denen er die meisten noch aus der Schul- und Lehrzeit kennt. «Meine Kollegen waren mir eine grosse Hilfe. Ohne sie hätte ich das nie geschafft», erzählt der Wittenbacher.

Erfinderischer Geschäftsmann

Letzten Sommer nahm Niklaus Manser am «Swisspower Gigathlon.02» teil. Mit einem Freund fuhr er die erste Etappe (90 km) per Tandem. Die Lieblingsbeschäftigung Manser aber ist und bleibt das Jassen. Und die restliche Zeit widmet er dem Haushalt. «Mit einem Arm geht das Saubermachen halt viel langsamer.» Der sportliche Mann mit den funkelnden Augen ist aber nicht nur körperlich sehr aktiv. Er ist auch erfinderisch. Damit er den Haushalt alleine meistern kann, braucht er gewisse Hilfsmittel. Zum Beispiel zum Brotschneiden. «Weil das Brot beim Schneiden immer wegrutscht, habe ich einen Brothalter entwickelt», erklärt Niklaus Manser und zeigt ihn auch gleich: ein Schneidebrett mit Wänden. Dazwischen wird das Brot gelegt, so dass es nicht mehr rutscht. Ein anderes Schneidebrett ist mit Nägeln versehen. «Das hat mein Vater gemacht. Es ist zum Gemüse rüsten.» Als leidenschaftlicher Jasser verfügt Niklaus Manser auch über einen gebogenen Kartenhalter. Und das Besondere: Er braucht diese Hilfsmittel nicht nur für sich, er verkauft sie auch. Genauso wie die Schneeschuhe. Auf diese ist er gestossen, als er nach einer Wintersportart suchte, die er alleine ausüben kann.

Erfahrungen umgesetzt

Für seinen ersten Schneeschuhausflug mietete Niklaus Manser im Sportgeschäft die Ausrüstung und wurde kurz darauf im Bus von einem Fremden angesprochen. «Die händ kein guete Halt», meinte dieser, dessen Freund selbst Schneeschuhe anfertigt. Als Niklaus Manser die Schneeschuhe im Alpstein ausprobierte, musste er dem Fremden Recht geben. Er machte den Schneeschuhspezialisten ausfindig und beschaffte sich die richtigen Schuhe. Angefressen vom «Schneeschüele», bot er sich als Vermittler der Qualitätsschneeschuhe an. Seither verkauft er neben all seinen sonstigen Aktivitäten Schneeschuhe.

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